„Loslassen ist der Schlüssel zum Glück.“ Diesen Satz habe ich kürzlich bei dir gelesen. Aber ich bekomme es einfach nicht hin“, schrieb mir vor ein paar Tagen eine liebe Freundin. Geht es dir auch so, dass du manchen Menschen nicht vergeben kannst? Meine Erfahrung hat gezeigt, dass Verstehen oft ein guter Weg ist, um Vergebung zu ermöglichen.

Im NLP (Neurolinguistisches Programmieren) gibt es einige Grundannahmen. Eine davon lautet: Jeder Mensch handelt in jedem Moment seines Lebens aus einer positiven Absicht heraus. Das bedeutet, dass du und ich immer nach bestem Wissen und Gewissen handeln – aus unserer Perspektive. Selbst ein Bankräuber handelt aus einer positiven Absicht. Nein, nicht aus Sicht der Angestellten, der Kunden oder der Polizei. Aber aus seiner eigenen Sicht könnte es in diesem Moment die beste oder einzige Lösung sein, um schnell an Geld zu kommen. Die meisten von uns würden niemals so handeln, doch wir haben auch nicht den Lebensweg dieses Menschen durchlaufen.

Wenn du einem Menschen vergeben möchtest, schau dir sein Leben an. Glaubst du, dass du selbst, wenn du exakt dasselbe Leben wie er gelebt hättest, ähnlich gehandelt hättest? Es gibt einen Satz aus der Weisheit der nordamerikanischen Ureinwohner:

„Urteile nicht über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist.“

Jeder Mensch hat sein eigenes Modell der Welt. Dieses Modell basiert auf dessen Glaubenssätzen, Erfahrungen, Werten und Ansichten. Deshalb denkt auch jeder Mensch anders über das Leben. Um zu verstehen, warum jemand auf eine bestimmte Weise gehandelt hat, darfst du dein eigenes Weltbild komplett ausblenden und dich nur auf das des anderen einlassen. Es geht dabei nicht darum, die Handlung gutzuheißen – es geht allein darum, sie zu verstehen.

Wenn du die Vorgeschichte eines Menschen nicht kennst, kannst du dennoch versuchen, sein Handeln nachzuvollziehen. Frage dich: Was muss diesem Menschen Schlimmes widerfahren sein, dass er zu einer solchen Handlung fähig war? Welche Qualen, Abhängigkeiten oder emotionalen Verletzungen hat er erlebt? Dieses Verständnis macht das Geschehene nicht ungeschehen, und es bedeutet auch nicht, dafür Applaus zu geben. Es geht rein um das Verständnis, denn ich habe mir dann bei meinen persönlichen Erfahrungen gesagt, dass dieser Mensch schon im Vorfeld die 1.000-fache Rechnung von dem bekommen hat, was er mir angetan hat. Ansonsten wäre er gar nicht im Stande dazu gewesen.

Als letzte Idee möchte ich dir noch sagen, dass es bei der ganzen Sache niemals um dich geht oder es ganz genau betrachtet auch gar nichts mit dir zu tun hat. Denn wenn jeder alles aus einer guten Absicht für sich selbst tut, dann geht es nur um den Menschen selbst. Darum, dass der Mensch mehr Macht hat, wichtiger erscheint oder was auch immer. Damit möchte er am Ende des Tages gesehen, gehört oder respektiert werden. Bei vielen Aufnahmeritualen in Gangs geht es um Respekt. Man wirft eine Scheibe ein und verdient sich so den Respekt der Gruppe. Das Ganze hat nichts mit der Scheibe zu tun. Auch nicht mit dem Besitzer des Ladens hinter der Scheibe. Sondern einzig und allein mit dem Wunsch des Geprüften, Teil einer Gruppe zu sein und dort als vollwertiges Mitglied respektiert zu werden. Nur solange du denkst, dass es etwas gegen dich war, hängst du fest.

Schau, es wäre, als würdest du jeden Tag das Gift schlucken und hoffen, dass der Steinewerfer Tod umfällt. Der hat jedoch ein grandioses Leben als Mitglied in der Gang. Der denkt gar nicht mehr an die Scheibe oder was er damit ausgelöst hat. Möchtest du diesem Menschen den Rest deines Lebens schenken, indem du ihm so viel Macht über dich, deine Gefühle und Gedanken gibst, dass du die Geschichte weiter festhalten magst? Oder erkennst du, dass du durch mehr Verständnis über die Tatsache, dass der Mensch nur etwas Gutes für sich selbst getan hat, nach und nach loslassen kannst?

Du musst nicht vergessen oder vergeben. Nur einfach loslassen und deinen Fokus mehr und mehr auf die Dinge richten, die dein Leben bereichern und schöner machen? Denn diese Gewohnheit, den Fokus auf die schönen Dinge zu legen und zu halten, wäre deine wichtigste Aufgabe, um zu besseren Gefühlen zu kommen. Daraus ergibt sich eine Gewohnheit und die ist irgendwann stärker als die alte Wut auf den Steinewerfer. Nur solange du mit jedem über die zerbrochene Scheibe sprichst und dich aufregst, gibst du jeden Tag Energie in etwas, was mit dir gar nichts zu tun hatte und im schlimmsten Fall dein Leben bis zum Sankt Nimmerleinstag lähmt. Lass es los. Stück für Stück.